Illustration Compliance-Experte: AML-Herausforderungen, False Positives, Audit-Readiness und Fraud-Integration
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AML-Herausforderungen verstehen: Perspektiven aus der Praxis

22.08.2025 Dr. Stephan Lemkens

Was hält Compliance-Verantwortliche nachts wach? 

Von sich wandelnden regulatorischen Anforderungen bis hin zu Fachkräftemangel und steigender Komplexität in AML-Prozessen: Die Rolle von Compliance-Verantwortlichen war nie anspruchsvoller. Um herauszufinden, was im Alltag wirklich zählt, haben wir mit unserem Kollegen Dr. Stephan Lemkens gesprochen, Solution Owner für AML Compliance im Bereich Risk & Fraud bei INFORM.

Als langjähriger Experte für Betrugsprävention und AML arbeitet Stephan eng mit Banken und Versicherern in ganz Europa zusammen. In diesem Interview teilt er seine persönliche Sicht auf fünf Schlüsselfragen, die die Zukunft von Compliance-Strategien maßgeblich beeinflussen.

Wie wirken sich neue regulatorische Anforderungen heute auf Compliance-Strategien und Risikoprofile aus?

Regulatorische Änderungen sind der wichtigste Treiber für Compliance-Strategien und Risikoklassifizierungen. Ohne externe Impulse wie zum Beispiel FATF-Empfehlungen, EU-Richtlinien oder Prüfungsergebnisse bleiben interne Systeme oft unverändert. Deshalb müssen Heads of Compliance regulatorische Entwicklungen genau im Blick behalten. Sobald eine Vorgabe finalisiert ist, kann es bereits zu spät sein, um sich rechtzeitig anzupassen.

Ein Beispiel ist die EU-Verordnung zu Instant Payments: Sie wurde über Jahre diskutiert, dennoch haben viele Institute die notwendigen technologischen und prozessbezogenen Anpassungen nicht rechtzeitig vorbereitet. Neue regulatorische Vorgaben können außerdem das Risikoprofil verschieben. Wenn bestimmte Berufsgruppen wie Anwälte oder Notare als besonders risikobehaftet eingestuft werden, müssen Banken ihre Kunden entsprechend neu gruppieren. Im Idealfall geschieht das automatisch im System. In der Praxis sind jedoch viele Setups noch nicht so weit.

Solche Auslöser lassen sich nicht immer vorhersagen. Der Ukraine-Krieg führte beispielsweise zu schnellen Sanktionsmaßnahmen. Manche Institute stuften in diesem Zuge vorsorglich alle russischen Passinhaber als Hochrisiko ein, auch ohne konkrete Eintragungen. Solche pauschalen Reaktionen machen deutlich, wie unflexibel Systeme werden können, wenn eigentlich differenzierte, risikobasierte Entscheidungen gefragt sind.

Eine weitere Hürde ist die Rechtssicherheit: Compliance-Teams benötigen häufig juristische Rückendeckung, insbesondere wenn EU-Richtlinien auf nationaler Ebene ausgelegt werden müssen. Deshalb setzen viele Fachleute große Erwartungen in die kommende europäische Geldwäschebehörde AMLA (Anti-Money Laundering Authority), die künftig einen einheitlicheren Rechtsrahmen schaffen soll.

Wie lassen sich False Positives im Transaktionsmonitoring wirksam reduzieren, ohne die Meldepflichten zu gefährden?

Die Reduzierung von False Positives ist nur ein Teil der Aufgabe. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, die knappen personellen Ressourcen so effizient wie möglich einzusetzen. Jeder Fall kostet Zeit und Geld, weshalb es darauf ankommt, Alarme so zu priorisieren, dass Analysten ihre Arbeit auf die wirklich relevanten Fälle konzentrieren können.

Intelligente Regelwerke bilden dafür die Basis, aber sie allein reichen nicht mehr aus. Entscheidend ist der nächste Schritt: Alarme müssen mit zusätzlichen Kontextdaten angereichert werden, während Machine-Learning-Modelle dabei helfen können, das tatsächliche Risiko einzuschätzen. Wenn ein System beispielsweise nachvollziehbar belegen kann, dass eine 10.000-Euro-Transaktion auf Grundlage klarer Parameter als unkritisch einzustufen ist, dann lässt sich ein Downgrade des Alarms rechtfertigen. Wichtig ist, dass dieser Prozess transparent dokumentiert wird.

Das Fundament bilden Nachvollziehbarkeit und Verteidigungsfähigkeit. Regulatoren fragen selten, warum ein einzelner Low-Risk-Alarm nicht überprüft wurde; sie wollen wissen, weshalb eine verdächtige Transaktion unentdeckt blieb. Genau hier unterstützt Machine Learning – nicht als Ersatz für Regeln, sondern indem es Alarme im Kontext neu priorisiert und Analysten ermöglicht, sich auf die wirklich wichtigen Fälle zu konzentrieren.

Was ist der beste Weg, AML-Workflows zu digitalisieren, ohne Lücken zwischen Kernbankensystemen, Fallbearbeitung und Reporting-Tools entstehen zu lassen?

Die vollständige Digitalisierung von AML-Workflows ist selten ein einfacher Prozess. Die meisten Finanzinstitute arbeiten mit einem Flickenteppich aus Altsystemen, oft gewachsen durch Fusionen und Übernahmen. Die Harmonisierung dieser Daten ist eine langfristige Herausforderung. Nur wenige Organisationen verfügen heute bereits über einen zentralen Data Lake oder ein sauber strukturiertes Warehouse, in dem alle Daten konsistent aufbereitet sind.

Deshalb ist ein schrittweiser, gut geplanter Ansatz realistischer. Entscheidend ist, dass die AML-Lösung Daten aus unterschiedlichen Quellen verbinden und harmonisieren kann, ohne dass der Nutzer davon etwas merkt. Für Ermittler und Sachbearbeiter muss die Oberfläche stets konsistent bleiben, unabhängig davon, wie komplex die technische Architektur im Hintergrund ist.

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die frühe Einbindung der IT-Abteilungen, vor allem bei großen Infrastrukturprojekten wie dem Wechsel zu einem neuen Kernbankensystem. Solche Umstellungen passieren oft nur alle paar Jahre und müssen deshalb von Anfang an zukunftssicher konzipiert werden.

Ein technisches Hindernis taucht dabei immer wieder auf: inkonsistente Kundenidentifizierung in den verschiedenen Abteilungen. Ohne einen sogenanntes „Golden Record“, also eine einheitliche, zentrale Kundendefinition, bleibt eine nahtlose Datenintegration unerreichbar. Die Lösung liegt hier nicht allein in der Technologie: Es erfordert auch, organisatorische Prozesse neu zu denken, Abteilungsanforderungen abzustimmen und Datensilos konsequent aufzubrechen, um langfristige Interoperabilität sicherzustellen.

Wie lässt sich AML-Compliance von der Erkennung bis zum Audit lückenlos sicherstellen?

Im Zentrum jeder wirksamen AML-Strategie steht Transparenz. Jede Entscheidung, jede Nutzeraktion und jede Systeminteraktion muss nachvollziehbar sein, nicht nur für interne Prüfungen, sondern auch für externe Aufsichtsbehörden. Ist unklar, wer was, wann und warum getan hat, gerät die Glaubwürdigkeit des gesamten Compliance-Frameworks ins Wanken.

Diese Transparenz muss von Anfang an im System verankert sein. Workarounds wie das Umgehen des Vier-Augen-Prinzips oder unnötige Datenzugriffe mögen kurzfristig praktisch erscheinen, untergraben jedoch die Integrität langfristiger Compliance. Sichere und prüfbare Prozesse müssen daher der Standard sein, nicht ein nachträglicher Zusatz.

Das gilt auch für Technologie. Machine Learning kann enorme Vorteile bringen, birgt jedoch Risiken, wenn Entscheidungen nicht nachvollziehbar sind. Black-Box-Modelle ohne Erklärbarkeit schaffen rechtliche Unsicherheit. Deshalb ist Explainable AI entscheidend: Sie ermöglicht Compliance-Teams nachzuvollziehen, warum eine Transaktion markiert oder verworfen wurde und auf welcher Basis das System zu diesem Ergebnis kam.

Doch Transparenz hängt nicht allein von der Technik ab; gut geschultes Personal ist ebenso wichtig. Mitarbeitende müssen verstehen, warum bestimmte Prozesse erforderlich sind, und die Software sollte sie aktiv unterstützen, etwa durch Vorlagen, standardisierte Dokumentationen und geführte Workflows. Auf diese Weise wird Audit-Fähigkeit zum festen Bestandteil der täglichen AML-Arbeit.

Aus Ihrer Sicht: Wie können Compliance-Teams ihre Effektivität steigern und die Brücke zwischen Fraud und AML schlagen?

Der Schlüssel zu wirksamer Compliance liegt im richtigen Mindset: Führungskräfte müssen überzeugt sein, dass ihr Beitrag über das bloße Erfüllen regulatorischer Vorgaben hinausgeht. Wirkungsvolle Compliance kann Finanzkriminalität spürbar eindämmen. Fraud und AML sind eng miteinander verknüpft: Geld, das gewaschen wird, muss irgendwoher stammen, und oft ist großangelegter Betrug die Quelle.

Ein zentraler Erfolgsfaktor ist der Abbau von Silos. Nur wenn Abteilungen zusammenarbeiten, entsteht ein vollständiges Risikobild. Dazu gehört auch, bestehende Prozesse regelmäßig kritisch zu hinterfragen, interne Audits durchzuführen und Abläufe kontinuierlich weiterzuentwickeln, nicht nur zur Effizienzsteigerung, sondern auch, um Bedrohungen frühzeitig zu begegnen.

Der zweite Pfeiler ist der effiziente Einsatz von Ressourcen. Mitarbeitende sind die wertvollste (und die am stärksten begrenzte) Ressource jedes Compliance-Teams. Technologie muss ihnen Hilfestellung leisten, nicht zur Hürde werden. Das bedeutet: intuitive Case-Management-Tools, wirksame Alarmpriorisierung und transparente Automatisierung, die den Fokus auf die wirklich relevanten Fälle lenkt.

Am Ende geht es darum, ein Umfeld zu schaffen, in dem smarte Tools und klar definierte Prozesse die Arbeit der Teams erleichtern, Sicherheit geben und Wirkung entfalten, ohne das eigentliche Ziel von Compliance aus den Augen zu verlieren.

ÜBER UNSERE EXPERT:INNEN

Dr. Stephan  Lemkens

Dr. Stephan Lemkens

Solution Owner Compliance | Risk & Fraud

Stephan ist seit 2018 als Berater im Professional Services Teams tätig und hat Erfahrungen mit Projekten gesammelt, die sich auf die Transaktions- und Sitzungsüberwachung im Zusammenhang mit Betrugsprävention konzentrieren. Seit 2020 konzentriert er sich auf Compliance und arbeitet eng mit unseren Kunden an Projekten rund um die Überwachung verdächtiger Aktivitäten und die Sorgfaltspflicht gegenüber Kunden zusammen.