04.09.2025 Mario Bock
ShareProcess Mining ist ein moderner Röntgenblick auf die Abläufe in Unternehmen. Die Technologie zeigt objektiv, wie Geschäftsprozesse tatsächlich ablaufen – oft mit überraschenden Erkenntnissen und versteckten Optimierungspotenzialen. Ob in der Fertigung oder im Kundenservice: Process Mining deckt ineffiziente Schleifen, Engpässe und Abweichungen auf und hilft, Abläufe spürbar zu verbessern.
Was ist Process Mining? (Definition)
Process Mining ist eine Methode, die digitale Spuren aus IT-Systemen nutzt, um Geschäftsprozesse automatisiert zu rekonstruieren und zu analysieren. Jede Aktion in einem Prozess hinterlässt Datenspuren in ERP-, CRM- oder Workflow-Systemen. Process-Mining-Tools fügen diese Einzelereignisse zusammen und visualisieren den tatsächlichen Prozessverlauf ganzheitlich. So entsteht ein datengetriebenes Modell des Prozesses, das oft anders aussieht als vermutet. Beispielsweise lässt sich nachvollziehen, wie ein Kundenauftrag wirklich durch verschiedene Abteilungen fließt und wo es dabei zu Engpässen oder Verzögerungen kommt. Die fundamentierte Sicht auf die Ist-Abläufe schlägt eine Brücke zwischen theoretischen Prozessmodellen und der gelebten Realität. Anstelle von Annahmen oder idealisierten Diagrammen liefert Process Mining Fakten: Welche Schritte erfolgen in welcher Reihenfolge, wie lange dauern sie, wo treten Schleifen oder Wartezeiten auf? Dadurch können Unternehmen auf Knopfdruck Schwachstellen erkennen, Prozesse vergleichen und ihre Leistung mit Kennzahlen belegen.
Hintergrund und Kontext
Die Grundlagen von Process Mining wurden bereits Ende der 1990er-Jahre gelegt. Ab 1998 forschte der Informatiker Wil van der Aalst (heute Professor an der RWTH Aachen) an Methoden, um aus Workflow-Logdaten Prozesse abzuleiten. Aus der Forschung fand Process Mining ab den 2010er-Jahren seinen Weg in die breite Unternehmenspraxis.
Mit dem Erfolg der Methode stiegen auch die Zahlen der verfügbaren Tools und darauf spezialisierten Beratungsunternehmen rasant. Die breiter werdende Verfügbarkeit, kombiniert mit dem enormen Mehrwert hat dazu geführt, dass sich Process Mining mittlerweile vom Nischenansatz zu einem der wertvollsten Werkzeuge für das Geschäftsprozessmanagement und Decision Intelligence entwickelt hat.
Wie funktioniert Process Mining?
Process Mining funktioniert, indem digitale Spuren (Event Logs) aus IT-Systemen automatisch zusammengefügt und analysiert werden Dabei werden Einzelereignisse wie Zeitstempel, Benutzeraktionen oder Vorgangs-IDs genutzt, um einzelne Objekte durch ihre Prozesse zu verfolgen und eine ganzheitliche Sicht auf reale Abläufe zu schaffen. Algorithmen erkennen typische Muster und Abläufe, visualisieren Prozessschritte und ermöglichen dadurch eine objektive Analyse von beispielsweise einzelnen Koffern am Flughafen.
Viele herkömmliche Prozessmodelle bilden oft nur rund 80 % aller Abläufe ab und zeigen dabei selten, wo genau Verzögerungen auftreten, welche Zwischenschritte es gibt oder welche Sonderfälle auftreten. Diese vereinfachten Modelle sind zwar übersichtlich, spiegeln aber nicht die Realität wider. Ein Modell, das alle realen Abläufe inklusive sämtlicher Ausnahmen berücksichtigt, wird dagegen häufig als „Spaghetti-Modell“ bezeichnet, weil es durch seine Komplexität zunächst kaum überschaubar wirkt.

Prozessabbildung mit und ohne Process Mining
Hier setzt die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) an. KI hilft, diese zunächst unübersichtlichen, aber realistischen Prozessmodelle in präzise, nutzbare Analysen umzuwandeln. Machine-Learning-Algorithmen erkennen automatisch relevante Muster innerhalb der komplexen Daten und ermöglichen tiefere Einblicke. Diese ermöglichen dann eine Verbesserung von Prognosen und Durchlaufzeiten und schaffen die Grundlage für automatisierte Ursachenanalysen für Engpässe. So entstehen aus den realitätsgetreuen Prozessmodellen digitale Zwillinge der Geschäftsprozesse – virtuelle Abbilder, mit denen Unternehmen gezielt Simulationen durchführen, Szenarien durchspielen und Optimierungspotenziale analysieren können. Dadurch gelingt es, nicht nur Probleme im Prozess zu identifizieren, sondern diese auch zu beheben.
Anwendungsbeispiele
Process Mining kommt heute branchenübergreifend zum Einsatz, denn nahezu jedes Feld mit digital ablaufenden Prozessen kann davon profitieren. Besonders in der Fertigung, im Einzelhandel, bei Banken, Versicherungen und im Gesundheitswesen hilft es, komplexe Abläufe wie Produktion, Kreditanträge oder Schadensregulierung transparent zu machen und gezielt zu optimieren.
Solche Optimierungen entstehen zum Beispiel durch die Vermeidung unnötiger Prozessschritte. Dazu kann unter Anderem analysiert werden, wo Aufgaben besonders lange unbearbeitet bleiben oder welche Abläufe mehrfach durchlaufen werden. Ein konkretes Beispiel: Ein Produkt wird während der Produktion ins Lager gelegt, obwohl es im nächsten Schritt direkt an der benachbarten Maschine benötigt wird.
Vorteile & Herausforderungen
Process Mining bringt Unternehmen zahlreiche Vorteile, geht aber auch mit praktischen Herausforderungen einher. Ein Überblick über die wichtigsten Vorteile und Herausforderungen:
Vorteile
- Transparenz: Process Mining schafft eine objektive, datenbasierte Sicht auf Prozesse. Anstelle von Vermutungen erhält man klare Fakten über den tatsächlichen Ablauf – inklusive aller Varianten und Sonderfälle.
- Effizienzsteigerung: Durch die Identifizierung von Engpässen, Schleifen oder Medienbrüchen lassen sich Prozesse gezielt verbessern. Unternehmen entdecken Einsparpotenziale bei Zeit und Kosten, da Bottlenecks und unnötige Schritte eliminiert werden können.
- Schnellere Analyse: Automatisierte Algorithmen durchforsten heutzutage in kurzer Zeit große Mengen an Event-Daten. Dadurch entfallen aufwendige manuelle Interviews oder Workshopping-Sessions zur Prozesserhebung.
- Compliance sichern: Process Mining deckt Abweichungen von vorgegebenen Prozessen oder Richtlinien auf. Dies hilft, Compliance-Verstöße frühzeitig zu erkennen und Prozessqualität sowie Regelkonformität zu gewährleisten (wichtig z. B. in regulierten Branchen).
- Kontinuierliche Verbesserung: Mit regelmäßigen Datenupdates kann Process Mining als Monitoring-Tool dienen. Prozesse lassen sich fortlaufend überwachen, und Verbesserungsmaßnahmen können direkt auf ihre Wirkung geprüft werden. So etabliert sich ein kontinuierlicher Verbesserungszyklus im Unternehmen.
Herausforderungen
- Datenqualität und -verfügbarkeit: Die Analysen sind nur so gut wie die zugrunde liegenden Daten. Fehlende Zeitstempel, doppelte Einträge oder unvollständige Logs können Ergebnisse verfälschen.
- Integration in die IT-Landschaft: Prozesse laufen meist über mehrere Systeme. Um eine End-to-End-Sicht zu ermöglichen, müssen Datenquellen zusammengeführt und Formate harmonisiert werden.
- Tool-Komplexität und Fachwissen: Die Einrichtung und Nutzung moderner Process-Mining-Software erfordert Erfahrung. Ohne geschulte Anwender besteht das Risiko, falsche Schlüsse zu ziehen.
- Change Management: Anpassungen an bestehenden Abläufen stoßen nicht immer sofort auf Akzeptanz, daher ist Kommunikation und Einbindung der Mitarbeiter entscheidend.
- Datenschutz und Compliance: Bei der Analyse von Mitarbeiteraktivitäten müssen verschiedene Vorgaben berücksichtigt und ggf. Maßnahmen wie Anonymisierung angewendet werden.
FAQ zu Process Mining
Was unterscheidet Process Mining von herkömmlicher Prozessanalyse?
Herkömmliche Prozessanalyse stützt sich meist auf Workshops, Interviews und manuelle Modellierung, um Soll-Abläufe zu beschreiben. Process Mining dagegen geht den umgekehrten Weg: Es betrachtet die Ist-Daten aus IT-Systemen und leitet daraus ab, wie Prozesse tatsächlich laufen. Dadurch fallen subjektive Verzerrungen weg – man erhält ein objektives Abbild statt eines idealisierten Modells. Einfach ausgedrückt: Klassische Analyse fragt Menschen „Wie sollte der Prozess ablaufen?“, während Process Mining die Systeme fragt „Wie ist der Prozess abgelaufen?“.
Welche Daten benötigt man für Process Mining?
Grundlage für Process Mining sind Ereignisdaten (Event Logs) aus den IT-Systemen, in denen Prozesse ablaufen. Diese Logs sollten für jeden Vorgang drei wesentliche Informationen enthalten: eine eindeutige Vorgangs-ID (z. B. Auftragsnummer), einen Aktivitätsnamen (welcher Schritt wurde ausgeführt) und einen Zeitstempel. Oft stehen in betrieblichen Anwendungen wie ERP-, CRM- oder Ticketing-Systemen genau solche Daten bereits zur Verfügung. Zusätzlich können Attribute wie Benutzer, Kostenstellen oder Materialnummern nützlich sein, um den Prozess später aus verschiedenen Blickwinkeln zu analysieren. Wichtig ist, dass die Daten vollständig und korrekt sind – je mehr relevante Ereignisse erfasst werden, desto detaillierter und aussagekräftiger das Prozessbild.
Wie startet man ein Process-Mining-Projekt?
Am besten beginnt man im kleinen Rahmen. Zunächst wählt man einen Prozess aus, der wichtig ist und ausreichend digitale Daten liefert (etwa der Rechnungsfreigabeprozess oder die Auftragsabwicklung). Dann beschafft man sich die entsprechenden Event-Daten aus den IT-Systemen. Hierfür lohnt es sich, IT und Fachabteilung früh einzubeziehen. In einem Pilotprojekt wird ein geeignetes Process-Mining-Tool auf diese Daten angesetzt. Die ersten Analysen liefern schnell greifbare Ergebnisse, die man mit Prozessverantwortlichen diskutieren kann. Auf Basis dieser Erfahrungen lässt sich das Projekt schrittweise ausbauen: weitere Prozesse untersuchen, mehr Datenquellen anbinden und die Mitarbeitenden durch Schulungen mit ins Boot holen. Kurzum: Start klein, lerne schnell und skaliere mit Plan – so wird die Einführung von Process Mining zum Erfolg.
Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz im Process Mining?
Künstliche Intelligenz (KI) hält zunehmend Einzug in das Process Mining, ist aber kein Muss. Die klassischen Process-Mining-Algorithmen kommen auch ohne Machine Learning aus – sie folgen festen Regeln, um Prozesse aus Logs zu rekonstruieren. Allerdings ergänzen immer mehr Anbieter ihre Tools um KI-Funktionen: zum Beispiel Prädiktionsmodelle, die prognostizieren, wann ein aktueller Fall voraussichtlich abgeschlossen sein wird, oder Anomalieerkennung, die ungewöhnliche Vorgänge automatisch meldet. Solche Process-AI-Features können den Nutzen erweitern, indem sie proaktiv auf Probleme hinweisen oder Optimierungspotenziale vorschlagen. Process Mining bleibt aber auch ohne KI ein wertvolles Werkzeug.
Fazit
Process Mining hat sich vom akademischen Konzept zu einer Schlüsseltechnologie für digitales Prozessmanagement entwickelt. Die Methode liefert Unternehmen einen klaren Nutzen: Sie verwandelt Datenspuren in handfeste Einsichten, mit denen Prozesse effizienter, schneller und robuster gestaltet werden können. Angesichts immer komplexerer Abläufe und wachsender Datenmengen wird Process Mining in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. In Kombination mit Echtzeit-Monitoring und KI-Unterstützung dürfte es sich zu einem unverzichtbaren Bestandteil moderner Organisationssteuerung entwickeln. Unternehmen, die frühzeitig auf Process Mining setzen, schaffen die Basis für eine datengetriebene Kultur der kontinuierlichen Verbesserung – und damit für nachhaltigen Erfolg im digitalen Zeitalter.
ÜBER UNSERE EXPERT:INNEN

Mario Bock
AI Application Specialist | Corporate Marketing
Mario Bock arbeitet seit 2023 als AI Application Specialist im Bereich Corporate Marketing bei INFORM. Er kam 2016 zu INFORM und begann seine Karriere in der Softwareentwicklung. Angetrieben von seiner Begeisterung für künstliche Intelligenz schrieb er ein Buch über die Grundlagen der KI und konzentriert sich nun auf die Anwendung von KI-Tools im Marketing. Mit seiner Leidenschaft für Innovation und praktische KI-Anwendungsfälle gestaltet er bei INFORM die Zukunft der Kommunikation und Content-Erstellung mit.