16.04.2018 Joanna Rosskamp
ShareWork-Life-Balance: der Begriff klingt schön. Er klingt nach Harmonie, nach frühem Feierabend und Freizeit. Medien suggerieren, dass man einfach nur Arbeit und Privatleben in Balance bringen muss, um Glückseligkeit zu erreichen. Gerade die jüngeren Generationen, allen voran die viel beschworene „Generation Y“, seien ein Vorreiter für diesen Trend.
Aber wie sieht es in der Realität aus? Aktuell wird viel geschrieben über „Work-Life-Blending“: das Arbeitsleben dringt in das Privatleben ein, teilweise auch umgekehrt. Oder haben Sie noch nie abends Ihre E-Mails gelesen? Dank Mobiltechnologien, Cloud und Digitalisierung ändert sich unser Arbeitsleben. So weit, so gut.
Balanceakt zwischen Lebens- und Selbstverwirklichung
Dabei übersehen wir aber eine „Kleinigkeit“: viele Menschen leben gar nicht in dem Luxus, sich über Work-Life-Balance viele Gedanken machen zu können, und auch Work-Life-Blending gehört vermutlich nicht zu den Top 3 ihrer Alltagssorgen. Ihre Lebenswirklichkeiten sehen anders aus.
Nehmen wir Familien mit Kindern. Nach einer Studie der OECD herrscht in Deutschland aktuell immer noch das klassische Familienbild vor, bei dem der Mann der Hauptverdiener ist. 40% der Frauen arbeiten in Teilzeit mit durchschnittlich 20 Stunden, nur 30% in Vollzeit. Laut der Studie liegt das vor allem an den starren Öffnungszeiten von Schulen, Kindergärten und Kitas.
Noch schlimmer ist es bei Alleinerziehenden. Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge sind ein Fünftel der Familien in Deutschland sogenannte Ein-Eltern-Familien. In 89% der Fälle sind es die Mütter, welche die Hauptverantwortung für die Kinder übernehmen. 61% dieser Mütter gehen einer Erwerbstätigkeit nach, wovon wiederum 42% in Teilzeit arbeiten. Und: knapp 42% der Alleinerziehenden und ihrer Kinder gelten als arm oder armutsgefährdet. Von den 1,92 Millionen Kindern und Jugendlichen, für die in Deutschland Hartz 4 bezogen wird, lebt die Hälfte in Ein-Eltern-Familien.
Das hat ziemlich wenig damit zu tun, was wir intuitiv mit Work-Life-Balance verbinden. Es sind oft harte organisatorische und wirtschaftliche Zwänge, die Menschen zur (Teilzeit-)Arbeit bewegen. Und es geht nicht nur um Kinderbetreuung. Auch z.B. die Pflege kranker Angehöriger kann ähnliche Zwänge auslösen.
Die Maslowsche Pyramide – ein Zwei-Stufen-Modell
Wir müssen also differenzieren. Hilfreich ist dazu ein Vergleich mit der Maslowschen Bedürfnispyramide, die menschliche Bedürfnisse und Motivationen grob nach „essentiellen“ (auch „Defizit“)-Bedürfnissen und Wachstumsbedürfnissen unterscheidet. Die vier essentiellen Bedürfnisarten müssen befriedigt werden. Das sind physiologische, soziale, Individual- und Sicherheitsbedürfnisse. Erst danach treten Wachstumsbedürfnisse in den Vordergrund: die Selbstverwirklichung.
Ähnlich verhält es sich mit der Arbeit. So lange eine Arbeitsstelle keine Vereinbarkeit mit privaten Zwängen ermöglicht, wird die Arbeit nicht aufgenommen. Erst wenn der Job den organisatorischen und wirtschaftlichen Randbedingungen gerecht wird, spielt die Frage der Selbstverwirklichung eine maßgebliche Rolle.
Darüber hinaus hat sich die Wirkungsrichtung geändert. Früher wurden Arbeitstätigkeit und Lebensentwürfe an das Arbeitsplatzangebot angepasst – und das hieß normalerweise „Vollzeit“. Das hat die gesellschaftliche Grundnorm mitgeprägt, dass Mütter mit den Kindern zu Hause blieben. Heute ist es umgekehrt: es ist für uns selbstverständlich, dass es Arbeitsplätze geben sollte, die mit dem Privatleben vereinbar sind. Oder um es mit den Worten von Michael Sommer (DGB) zu sagen: „Wir brauchen familiengerechte Jobs statt jobgerechte Familien“.
Wir sollten also aufhören, mit dem Begriff „Work-Life-Balance“ alles über einen Kamm zu scheren. So lange private Erfordernisse die Fähigkeit zum Arbeiten einschränken, müssen wir eigentlich von „Work-Life-Necessities“ sprechen. Erst wenn der Beruf mit den organisatorischen und wirtschaftlichen Randbedingungen im Einklang ist, können wir Beruf und Privatleben im Sinne einer Selbstverwirklichung in Balance bringen. Die somit entstehende „Maslowsche Arbeitspyramide“ enthält also zwei Stufen!
ÜBER UNSERE EXPERT:INNEN

Joanna Rosskamp
Marketing Managerin
Joanna Rosskamp ist seit Januar 2025 als Marketing Managerin im Bereich Workforce Management bei INFORM tätig. Ihr Fokus liegt auf der Weiterentwicklung der Website, der Umsetzung von SEO-Maßnahmen sowie der strategischen Bespielung von LinkedIn. Darüber hinaus betreut sie Webinare und interne Schulungen mit technischer Präzision und klarer Struktur. Durch ihre tiefe Branchenkenntnis und ein ausgeprägtes Verständnis für die Herausforderungen im Workforce Management entwickelt sie wirkungsvolle Konzepte und begleitet deren erfolgreiche Umsetzung.