08.12.2025 Dr. Stephan Lemkens
ShareZum Jahresende 2025 richtet die Finanzbranche den Blick auf jene Entwicklungen, die im kommenden Jahr besonders prägend sein werden. Zahlreiche Trends zeichnen sich bereits jetzt klar ab. Wir beleuchten sieben Themen, die 2026 für Finanzinstitute in Europa besonders relevant sein werden – technologisch, regulatorisch und strategisch.
1. KI-gestützte Banking-Services und autonome Systeme
Künstliche Intelligenz bleibt 2026 ein zentraler Wachstumstreiber im Bankgeschäft, sie prägt den Kundenservice ebenso wie das Risikomanagement und die Bekämpfung von Finanzkriminalität. Neben klassischen Chatbots rücken zunehmend komplexere Systeme in den Fokus: KI-Agenten, die Aufgaben eigenständig ausführen und ganze Prozessketten steuern können.
2026 werden solche Agenten verstärkt in den täglichen Betrieb integriert. Sie beobachten Abläufe in Echtzeit, erkennen Abweichungen wie auch Auffälligkeiten und bereiten Entscheidungen vor. Dadurch übernehmen sie immer mehr operative Tätigkeiten, die zuvor von Mitarbeitenden ausgeführt oder überwacht wurden.
Besonders in der Bekämpfung von Finanzkriminalität bietet agentische KI erhebliches Potenzial. Intelligente Systeme können KYC-Prüfungen, Transaktionsüberwachung und die Bearbeitung standardisierter Fälle weitgehend selbstständig übernehmen und dadurch sowohl Tempo als auch Genauigkeit steigern.
Auch in der Kundenkommunikation werden Banken und Zahlungsdienstleister im Jahr 2026 zunehmend auf solche KI-gestützten Assistenzen setzen. Kunden interagieren dann häufiger nicht mehr mit Mitarbeitenden im Call-Center, sondern mit digitalen Agenten, die ihre Anliegen – etwa bei einem Verdachtsfall auf Betrug – bearbeiten. Komplexe oder besonders risikobehaftete Entscheidungen bleiben jedoch weiterhin menschlichen Experten vorbehalten.
Mit dem Inkrafttreten des EU AI Act steigen gleichzeitig die regulatorischen Anforderungen an Entwicklung, Nutzung und Überwachung von KI-Systemen. Banken müssen robuste Governance-Strukturen aufbauen, um KI verantwortungsbewusst und regelkonform einzusetzen.
Kurz gesagt: 2026 wird zum Balanceakt, denn KI soll als strategischer Vorteil wirken, ohne dass regulatorische Risiken und Kundenzufriedenheit aus dem Blick geraten.
2. Zunahme von Betrug und ausgefeilten Social-Engineering-Maschen
Weltweit ist ein deutlicher Anstieg von Betrugsfällen zu beobachten – eine Entwicklung, die von vielen Experten als „Scamdemic“ bezeichnet wird. Besonders Social-Engineering-Angriffe nehmen zu. Sie nutzen gezielt menschliche Emotionen und Vertrauen aus, um sensible Informationen oder Finanztransaktionen zu erschleichen.
Typische Maschen sind:
- Phishing und Smishing
- CEO-Fraud
- Anlagebetrug
- Identitätsdiebstahl
- Romance-Scams
- Deepfake-Betrug
Ein wesentlicher Treiber ist der zunehmende Einsatz von generativer KI, die es Kriminellen ermöglicht, täuschend echte Texte, Nachrichten oder gar Stimmen und Videos zu erstellen. Wo früher fehlerhafte Sprache oder unprofessionelle Gestaltung ein Warnsignal waren, sind KI-gestützte Betrugsversuche heute nahezu perfekt formuliert und hochgradig personalisiert.
Zudem agieren internationale Betrugsnetzwerke immer professioneller. In einigen Regionen arbeiten ganze „Scam-Fabriken“, die arbeitsteilig Betrug produzieren – von Datenerhebung über die Kontaktaufnahme bis hin zur Geldwäsche.
Instant Payments verschärfen die Situation zusätzlich, da kaum Zeit bleibt, betrügerische Zahlungen zurückzurufen.
Konsequenz: Finanzinstitute müssen ihre Awareness-Maßnahmen ausbauen, KI-gestützte Betrugserkennung einsetzen und verstärkt mit Behörden kooperieren.
Auf der Abwehrseite erweitern Banken und Zahlungsdienstleister ihr technisches Repertoire. Besonders Behavioral Biometrics, also die Analyse typischer Nutzungsverhaltensweisen, wird zunehmend zum festen Bestandteil moderner Sicherheitsarchitekturen. KI-Systeme lernen hierbei die individuellen Muster eines Nutzers kennen – etwa Tippdynamik, Mausbewegungen, Touch-Gesten oder typische Zugangsroutinen. Abweichungen von diesem „digitalen Fingerabdruck“ machen potenziellen Betrug frühzeitig erkennbar.
Viele Institute haben 2025 entsprechende Pilotprojekte gestartet; 2026 ist davon auszugehen, dass verhaltensbasierte Modelle weit verbreitet in Fraud-Management-Plattformen verankert sind.
Darüber hinaus setzen Banken verstärkt auf Hybrid-AI-Ansätze. Diese kombinieren die regelbasierte Logik von Fachexperten mit selbstlernenden Algorithmen und sorgen so für hohe Erkennungsraten. Systeme wie RiskShield treffen Entscheidungen in Millisekunden – ein inzwischen unverzichtbarer Standard für Instant Payments, um verdächtige Transaktionen rechtzeitig zu blockieren.
Auch Blockchain-Anwendungen finden zunehmend Anwendung, etwa für manipulationssichere Identitäten oder transparente Transaktionsketten.
Insgesamt zeigt sich: 2026 investieren Banken verstärkt in etablierte, leistungsfähige Sicherheitslösungen, um der zunehmenden Professionalität der Betrüger standzuhalten.
4. Digitale Souveränität und Datenschutz gewinnen an Bedeutung
Europa verfolgt seit einigen Jahren das Ziel, in zentralen Technologien und Datenökosystemen unabhängiger zu werden. 2026 dürfte dieser Trend weiter Fahrt aufnehmen. Sowohl Banken als auch Verbraucher legen zunehmend Wert darauf, Daten sicher in europäischen Infrastrukturen zu halten und sich weniger von außereuropäischen Anbietern abhängig zu machen.
Ein wichtiges Beispiel ist die European Payments Initiative (EPI) mit ihrer neuen Marke „Wero“. Sie soll eine europäische Zahlungsplattform schaffen, die als Alternative zu den etablierten, überwiegend US-dominierten Systemen fungiert. Die Ziele sind klar: eigene Zahlungssouveränität, höchste Datenschutzstandards und ein konkurrenzfähiges europäisches Zahlungsökosystem.
Getrieben wird dieser Trend durch geopolitische Unsicherheiten, wirtschaftliche Abhängigkeiten und zahlreiche Fälle von Datenmissbrauch. Das Bewusstsein für digitale Autonomie steigt – und damit die Bereitschaft, auf europäische Lösungen zu setzen.
5. Im Aufwind: Echtzeit-Zahlungen und grenzüberschreitende Transaktionen
2026 wird zum Jahr, in dem Echtzeitzahlungen endgültig als Standard etabliert werden. Die Regulierung hat dies maßgeblich vorangetrieben: Seit Januar 2025 müssen Banken im Euroraum eingehende Instant Payments verarbeiten, seit Oktober 2025 auch ausgehende – und das ohne Mehrkosten für den Kunden verglichen mit herkömmlichen Überweisungen.
Für Kunden sind Geschwindigkeit, Transparenz und rund um die Uhr verfügbare Services inzwischen selbstverständlich. Die EU-Kommission sieht Instant Payments daher als zentralen Baustein einer modernen digitalen Wirtschaft. Marktanalysten erwarten, dass sich der Anteil der Echtzeitzahlungen in den kommenden Jahren vervielfachen wird.
Parallel dazu beschleunigt sich die Modernisierung grenzüberschreitender Zahlungen. Unternehmen wie Privatpersonen erwarten sofortige, kostengünstige und transparente internationale Transaktionen. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die weltweite Einführung von ISO 20022, dem neuen globalen Nachrichtenstandard. Er sorgt für eine einheitliche Datensprache, stärkt Interoperabilität und ermöglicht eine höhere Automatisierung.
Das Ergebnis: Der Zahlungsverkehr wird vernetzter, schneller und globaler – mit direktem Nutzen für Verbraucher und Unternehmen.
6. Verschärfte Regulierung und Compliance-Anforderungen
Die Finanzbranche sieht sich 2026 einem besonders dichten regulatorischen Pflichtenkatalog gegenüber. Mit dem neuen EU-Anti-Geldwäsche-Paket vollzieht Europa einen grundlegenden Systemwechsel. Nach der Veröffentlichung im Juni 2024 läuft ein dreijähriger Übergangszeitraum, in dem Banken und Unternehmen ihre Prozesse umfassend anpassen müssen.
Ziel ist ein europaweit harmonisiertes Geldwäschegesetz (AMLR) unter der Aufsicht der neu geschaffenen Anti-Money Laundering Authority (AMLA). Dies bedeutet tiefgreifende Änderungen in nahezu allen Compliance-Bereichen: von KYC- und Kundenidentifizierung über das Transaktionsmonitoring bis hin zu Melde- und Dokumentationspflichten.
Auch außerhalb der Geldwäschebekämpfung verschärfen sich die Anforderungen. Experten gehen davon aus, dass Reimbursement-Regeln 2026 ausgeweitet werden, was vor allem bei Betrugsfällen zu erheblichen Kostenrisiken führen kann. Frühzeitige Betrugserkennung wird damit noch wichtiger.
Fazit: Institute, die frühzeitig in RegTech, Datenmanagement und Schulungen investieren, verschaffen sich klare Vorteile und vermeiden spätere operative Engpässe.
7. Digitaler Euro, Kryptowährungen und die Zukunft des Geldes
Digitale Währungen bleiben auch 2026 ein zentraler Diskussionspunkt der Finanzindustrie. Das Projekt digitaler Euro schreitet weiter voran. Bis Mitte 2026 soll der rechtliche Rahmen feststehen, um eine Pilotphase ab 2027 zu ermöglichen. Im Fokus stehen Fragen zu Datenschutz, Transaktionslimiten, Offline-Fähigkeiten und zur Rolle der Banken in der Verteilung.
Parallel dazu rückt Krypto als digitales Zahlungsmittel stärker in die Mitte des Marktes. Während Kryptowährungen schon lange existieren, haben NEO-Broker in den vergangenen Jahren den Zugang stark vereinfacht und sie damit zum Mainstream gemacht. 2025 haben sich viele Anleger aufgrund außergewöhnlich hoher Renditen deutlich stärker Krypto-Assets zugewandt – teils mit höheren Gewinnen als im klassischen Aktienmarkt. Auch Banken treiben das Thema voran, indem sie verstärkt eigene Investmentprodukte rund um digitale Assets anbieten.
Dennoch bleiben wesentliche Fragen offen: Handelt es sich bei Krypto primär um ein hochspekulatives Finanzprodukt? Oder entwickelt es sich zu einem dauerhaften Bestandteil des Finanzsystems? Wie ist mit dem hohen Disruptionspotenzial umzugehen, das Kryptowährungen auch im Kontext von Geldwäsche mit sich bringen? Und wird der aktuelle Boom in zwei oder drei Jahren als Übergangsphänomen oder als Beginn eines neuen Standards bewertet?
Fest steht: Die kommenden Jahre werden entscheidend dafür sein, welche Rolle Kryptowährungen künftig im Zusammenspiel mit staatlichen digitalen Währungen einnehmen.
Fazit: 2026 – ein Jahr voller Dynamik, Risiken und Chancen
Die Finanzbranche steht 2026 an einem spannenden Wendepunkt. KI-Revolution, Zahlungsinnovationen, verschärfte Regulierung und steigende Betrugsgefahren prägen das Jahr. Banken und Zahlungsdienstleister müssen flexibel bleiben und gleichzeitig strategisch investieren, sowohl in Technologie als auch in Know-how und europäische Kooperationen. Fest steht: Für Risk- und Fraud-Manager, IT-Abteilungen und Strategen wird 2026 alles, nur nicht langweilig.
ÜBER UNSERE EXPERT:INNEN

Dr. Stephan Lemkens
Solution Owner Compliance | Risk & Fraud
Stephan ist seit 2018 als Berater im Professional Services Teams tätig und hat Erfahrungen mit Projekten gesammelt, die sich auf die Transaktions- und Sitzungsüberwachung im Zusammenhang mit Betrugsprävention konzentrieren. Seit 2020 konzentriert er sich auf Compliance und arbeitet eng mit unseren Kunden an Projekten rund um die Überwachung verdächtiger Aktivitäten und die Sorgfaltspflicht gegenüber Kunden zusammen.
